Welcome to the Jungle

In der Nacht bekomme ich noch Besuch von einem Igel, der sich an meinem Zelt entlang schleicht und dessen Rascheln mir keine Ruhe lässt. Nach einer lieben Bitte und einem kleinen Stups mit der Plastikflasche hat er es sich dann aber doch überlegt und sucht das Weite.

Guten Abend Herr Igel
Bis jetzt habe ich mir für meine Tagesroute keine konkreten Ziele gesetzt, aber heute möchte ich ein Stück durchs Inland abkürzen und überspringe Calais, um nach Boulogne-sur-Mer zu gelangen. Von den insgesamt 61km rollen die ersten 20km ganz gut, obwohl es sich irgendwie schwerer tritt als sonst. Ich überprüfe nochmal den Reifendruck, aber alles ist in bester Ordnung. Der letzte halbe Kilometer der ersten Zwanzig, ist ein Hügelanstieg, bei dessen Bewältigung ich mich schäme, die Hügelchenchen aus dem Teutoburger Wald schon als Hügel betitelt zu haben. Oben angekommen genieße ich kurz die Aussicht und schiebe dann in einen modrigen Waldweg hinein.  Der Weg wird schmaler, dann eine kleine Schranke, die sich für Radfahrer umfahren lässt und dann ein Schild mit der Aufschrift "Parc naturel règional de Caps et Marais d'Opale". Der Weg ist jetzt nur noch ein kleiner Pfad und die Büsche und Bäume kommen immer näher. Kein anderer Mensch ist seit einer halben Stunde mehr zu sehn und man hört nur den Wind in den Blättern. Die Ortung via Satellit und Internet funktionieren hier auch nur mäßig bis gar nicht  und wenn eine Wegzweigung kommt, wähle ich den Weg, der mehr nach Westen zeigt; Notfalls komm ich irgendwo am Meer raus, denke ich.
Im Endeffekt sind es 5km nahezu unberührte Natur, die ich durchquere und für die ich locker 1,5 Stunden brauche. Der "Ausgang" ist ein verschlossenes Tor, über welches ich mein Zeug nur einzeln schaffe und dann zurück in die Zivilisation klettere. 


Als nächstes gilt es jetzt 35km Hügel- und Talfahrt zu bewältigen. Also schiebe ich eigentlich immer ein paar hundert Meter hinauf, fahre dann mit gehaltenem Rücktritt und quietschender Vorderbremse ziemlich langsam hinab und dann das ganze wieder von vorn, bis mir die Oberschenkel brennen. :D 
Zwischendurch ist eine recht  ebene Straße, auf der ich wieder feststelle, dass sich heut irgendetwas schwerer tritt. Ich prüfe nochmal die Reifen; alles Top. Hat die Gangschaltung vielleicht einen weg? Fahre ich gar nicht im gewohnten 5ten Gang? Scheint aber alles ok zu sein. Und dann bekomme ich ein leichtes krampfartiges Ziehen in der Wade. Jetzt dämmerts. Mit dem Fahrrad ist alles in Ordnung, meine Muskeln sind nur einfach erschöpft. Ein Tritt in die Pedale geht natürlich immer denkt man, aber wenn man einen täglichen Vergleich hat, ist es schon spürbar, wenn die Leistung abfällt. 
Mit Müh und Not erreiche ich gegen 20:30 Uhr mein Ziel, wo ich in einem Hostel ein 3-Bett Zimmer  bekomme, welches ich wieder allein bewohnen kann. Obwohl ich ziemlich K.O. bin, gehe ich noch in die Stadt, um etwas zu essen, da es davon heute im Dschungle und der verschlafenden Hügellandschaft auch nichts gab. Um vernünftig satt zu werden, hebe ich mir das Muschelmenü für später auf und suche mir einen netten Türken, der mich exzellent beköstigt. 
Ich gehe noch zum Strand und lerne Maxence, Justine, Melinda und Kevin kennen. Wir kommunizieren über den Google-Übersetzer, weil mein  Französisch noch ziemlich merde ist und ihr Englisch not the yellow from the egg. 
Zurück im Hostel bin ich zwar echt kaputt, aber die Bewältigung der heutigen Etappe erfreut und stärkt mich. 

Boulogne-sur-Mer, 13.07.2017
964 km

P.S. Es sind weitere Bilder im Beitrag. Einfach auf "Weiterlesen" klicken :-)



Dead End




Was zur Hölle?

Der Ausgang  


Hostelzimmer

v.r. Maxence, Kevin, Justine, Melinda

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Reisekarte

Woche 1 - 310 km


Woche 2 - 269 km


Woche 3 - 225 km


Woche 4 - 266 km